Die offizielle Bodenangabe zum Deutschen Derby wurde vielfach diskutiert. Offiziell wurde er mit “gut” angegeben. Die Zeit des eigentlich schnell gelaufenen Derbys, der optische Eindruck und die Meinungen u. a. der Aktiven spricht jedoch eine andere Sprache. Dr F. J. Richter aus Aachen hat das Rennen analysiert und die Daten mit den Derbys vergangener Tage verglichen. Die schlechte Darstellung der Tabellen bitte ich zu entschuldigen, hier gibt es technische Probleme.
Gastbeitrag Dr F. J. Richter:
Bodenangaben werden seit „undenklichen“ Zeiten im Rennsport dokumentiert um ein halbwegs realistisches Bild von den Umweltzuständen während der Leistungsprüfung für die Nachwelt festzuhalten. So können selbst in ferner Zukunft Bewertungen von Rennleistungen und evtl. aus ihnen ableitbare Qualitäten von Vorfahren der dann aktiven Pferde gezogen werden. Zudem sind korrekte Rennberichte von unmittelbarem Interesse für das den Rennsport finanzierende Wettgeschäft.
Wenn aus gutem Grunde Mess- und Testergebnisse festgehalten werden, dann sollten sie, wie es in den Naturwissenschaften schon lange und inzwischen auch in Sozial- und Geisteswissenschaften üblich ist, korrekt erfasst und dokumentiert sein. Denn nichts anderes als Mess- und Prüfungsergebnisse sind Rennberichte, die in Rennkalendern oder heute auch in Internet-Dateien veröffentlicht werden.
Das Deutsche Derby gilt als das herausragende Rennen des Jahres. Es ist anzunehmen, dass es allein schon aufgrund des üblicherweise großen Starterfeldes stets von Start weg zügig gelaufen wird. Taktische Geplänkel und Bummeltempo, wie man bei kleinen Starterfeldern häufiger beobachten kann, sind so gut wie ausgeschlossen. Die resultierenden Rennzeiten dieses Rennens sollten deshalb relativ wenig schwanken und im Wesentlichen durch äußere Umstände, insbesondere den Geläufzustand mitbestimmt werden. D. h. jedoch im Umkehrschluss zur sonst üblichen Argumentation, die besagt, dass schnelle Rennzeiten nicht zuletzt eine „schnelle“ = gut / feste Bahn erfordern:
Die erzielte Rennzeit ist (auch) ein Indikator für den Geläufzustand!
Zieht man nun die Rennzeiten des Deutschen Derbys seit 1975 heran und nimmt diejenigen Zeiten in die engere Auswahl, die ca. ± 2 sec um die gemessene Zeit des Derbys 2011 liegen (2:40,29 min = 160,29 sec), so ergibt sich folgendes Bild:
Es zeigt sich (siehe Tabelle oben), dass bei 6 von 9 Messungen Rennzeiten um 160 sec bei weichem, zumeist schwerem Geläuf zustande kamen. In den 3 Fällen des als „gut“ bezeichneten Geläufes gibt es allerdings nicht nur zum Derby 2011 starke Zweifel an der Korrektheit dieser Angabe:
Jahr |
Boden |
Penetrometer-Wert |
|
Zeit in Sek |
1979 |
gut |
(~3,7) |
? |
159,00 |
2002 |
schwer |
6,0 |
|
159,23 |
2008 |
gut |
4,3 |
? |
159,29 |
2004 |
schwer |
6,5 |
|
159,64 |
1984 |
schwer |
(~6,7) |
|
160,20 |
2011 |
gut |
4,2 |
? |
160,29 |
1982 |
weich |
(~5,2) |
|
160,60 |
1996 |
schwer |
6,9 |
|
161,70 |
1981 |
weich |
(~5,2) |
|
162,00 |
Es zeigt sich (siehe Tabelle oben), dass bei 6 von 9 Messungen Rennzeiten um 160 sec bei weichem, zumeist schwerem Geläuf zustande kamen. In den 3 Fällen des als „gut“ bezeichneten Geläufes gibt es allerdings nicht nur zum Derby 2011 starke Zweifel an der Korrektheit dieser Angabe:
- Zu Kamsins Derby 2008 ging unmittelbar vor diesem Rennen ein heftiger Regenschauer nieder.
- Zum Derby 1979 (Königsstuhl – Nebos) schreibt Hr. Siemen in seiner Derby-Historie: „Das Wetter am Derbytag war wechselhaft, mal Sonne, mal Regen und nach dem Aufgalopp machte ein kräftiger Guss das Geläuf sogar weich“ (also sehr ähnliche Umstände wie 2008!).
Und nun die Gegenprobe. Im Zeitraum 1975 bis 2011 wurde in 11 Fällen „gute“ Bodenwerte um 4,2 ± 0,2 dokumentiert. Die in diesen 11 Rennen erzielte Durchschnittszeit liegt bei 2:32,5 min, ist also 7,8 sec schneller als zum Derby 2011. Schließt man in dieser Mittelwertberechnung die Derbys 2008 und 2011 heraus, so beträgt die mittlere Zeit sogar 2:30,8 min – also 9,5 sec schneller als die 2011 realisierte Zeit. Die im Derby 2011 gemessene Rennzeit ist die schwächste im Betrachtungszeitraum unter vergleichbaren Bodenverhältnissen und 1 sec langsamer als die nächst schwächste Zeit, die bezeichnenderweise für 2008, einem Jahr mit ebenfalls zweifelhafter Bodenwertmessung, überliefert ist (siehe Tabelle unten).
Jahr |
Boden |
Penetrometer-Wert |
|
|
Zeit
in sec |
|
|
|
1994 |
gut |
4,0 |
|
|
148,40 |
|
|
|
1991 |
gut |
4,0 |
|
|
151,60 |
|
|
|
1988 |
gut |
4,0 |
|
|
151,80 |
|
|
|
1995 |
gut |
4,0 |
|
|
152,80 |
|
|
|
1999 |
gut |
4,2 |
|
|
145,81 |
|
|
|
2006 |
gut |
4,2 |
|
|
150,94 |
|
|
|
2011 |
gut |
4,2 |
? |
|
160,29 |
|
|
|
2010 |
gut |
4,3 |
|
|
149,51 |
|
|
|
2005 |
gut |
4,3 |
|
|
155,42 |
|
|
|
2008 |
gut |
4,3 |
? |
|
159,29 |
|
|
|
1997 |
gut |
4,4 |
|
|
151,04 |
|
|
|
mittel: |
|
ca.: |
|
|
152,5 |
(mit 2008,2011) |
|
|
|
|
ca.: |
|
|
150,8 |
(o. 2008, 2011) |
|
|
Fazit: Ein Bodenwert um ca. 6,0 für den vergangenen Sonntag scheint in Anbetracht dieses langfristigen Vergleiches, aber auch bei Betrachtung des Rennfilmes im Livestream über den gesamten Nachmittag als deutlich realistischer als der bisher offiziell dokumentierte Wert von „4,2 – gut“.
Ein Wert um „6“ sollte dann aber für die Nachwelt dokumentiert werden!
Es gibt außerdem Aussagen von Personen, die vor Ort unmittelbare Augenzeugen des Ereignisses waren. Es handelt sich um unmittelbar am Rennen beteiligte Trainer und Reiter, aber auch Besucher, deren Einschätzungen zeitnah in der Fachpresse belegt sind.
Nach dem Rennen begründeten einige im Rennen engagierte Aktive die enttäuschende Platzierung ihres Pferdes mit der Schwere des Geläufs. Nicht jedoch der Trainer von Saltas. Der vor dem Rennen allgemein als Aussenseiter eingeschätzte Saltas ist jedoch das einzige Derbypferd 2011, das bereits vor dem Derby eine 1-2-Platzierung auf schwerem Boden (6,1) vorweisen konnte:
Aktiver |
für Pferd |
Kommentar (ex Sport-Welt, 05.07. / GOL) |
T. Dascombe |
Brown Panther |
… Der schwere Boden war nicht gut für ihn. |
W. Buick |
Lindenthaler |
… Der Boden war einfach schon zu durchlässig für ihn. |
W Giedt |
Theo Danon |
… Bei gutem Boden hätte es wahrscheinlich zu mehr gereicht. |
P. Schiergen |
Saltas |
… ihm kam der Boden entgegen … |
|
Lindenthaler
Theo Danon |
… was nicht für Lindenthaler gilt.
Bei Theo Danon wussten wir schon vorher, dass es unter diesen Bedingungen schwer werden wird. |
Besucher äußerten sich bezüglich des Bodens am Derbytag (lt. Sport-Welt, 05.07.):
„Auch wenn die Füße auf dem aufgeweichten Terrain teilweise wegschwammen …“
„Außer nassen Füßen und einer sehr merkwürdigen Bodenangabe hat es mir … gefallen.“
„Lasst doch die absurden Bodenangaben weg, die stimmen eh nicht. Wenn ein erfahrener Mann wie M. Chapman dies auch noch mit Satireeinlagen untermauert, kann man sie auch gleich weglassen“
Ex-Jockey / -Trainer Harro Remmert (in Turf-Times, Nr. 172): „Das schnelle Rennen (sic!) und der Boden kam(en) Waldpark sehr entgegen.“
Die Turf-Times (Nr. 172, 07.07.), deren Chefredakteur die ganze Woche an prominenter Stelle begleitete, äußert sich an verschiedenen Stellen zum Zustand des Geläufs am Derby-Tag und während des Rennens:
„Am Derby-Wochenende, insbesondere am Samstag, ist der Renn-Club regelrecht ertrunken, was auch Auswirkungen auf den Sonntag hatte … Am Ende zeigte auch das Geläuf Spuren … die Bodenverhältnisse auch alles andere als optimal waren … Die Waldrun-Familie hatte stets eine gewisse Affinität zu weichem Boden, so dass der desaströse Regen … für [Waldpark] ein Segen war … die Bodenverhältnisse lagen … zum Zeitpunkt des Rennens sicher schon über 5…“.
Im der Livestream-Übertragung der Rennveranstaltung waren Mitarbeiter der Renntechnischen Abteilung des DVR wiederholt gut zu erkennen. Auch sie können ggf. als Augenzeugen herangezogen werden.
Einen weiteren Beleg für die falsche offizielle Bodenangabe bot der Internet-Livestream, in dem während der gesamten Übertragung der Rennen aus Hamburg der Bodenwert mit „gut – weich (3,6 – 5,2)“ angezeigt wurde. Eine solche Beschreibung ist bisher unüblich gewesen, der Autor dieser Zusammenstellung kann sich nicht erinnern, dies jemals zuvor beobachtet zu haben. „5,2“ – weich sollte zum 9. Rennen des Tages dann aber die absolute Mindestmarke für einen halbwegs realistischen Bodenwert im Derby sein. Jeder höhere Penetrometerwert sollte unter Berücksichtigung aller genannten Argumente die tatsächlichen Geläufverhältnisse während des Derbys realistischer beschreiben.
Es bleibt die Frage, was die oberste Institution des deutschen Galopprennsports hindert nachträglich einen offensichtlich falschen Bodenwert in den letztlich von ihr verantworteten Rennberichten zu berichtigen? Wenn das DVR allerdings seine ureigensten Aufgaben nicht erfüllt, nämlich die Korrektheit der gesamten im öffentlichem Interesse und deshalb immer noch privilegierten Sport- und Zuchtbetrieb zu gewährleisten, führt es den Sport und letztlich sich selbst ad absurdum.
Dr. Frank J. Richter
Aachen, 12.07.2011