Vor einigen Tagen berichtete die Webseite Horseracingnation über ein Modell des amerikanischen Jockeyclubs, wonach die Anzahl der Bedeckungen je Hengst auf 140 Stuten limitiert werden soll.
Hintergrund ist auch ein Absinken der Fohlenpopulation von 37.499 Fohlen im Jahr 2007 auf erwartete 20.500 Fohlen in 2020. 2007 deckten 37 Hengste mehr als 140 Stuten in einer Saison, diese Zahl sank auf 24 Hengste in 2010 und hat sich seitdem auf 43 Hengste mit mehr als 140 Bedeckungen nahezu verdoppelt.
2007 stammten 5.894 Stuten oder 9,5% der Population von Hengsten ab, die mehr als 140 Stuten je Saison gedeckt haben. 2019 stammten 7.415 Stuten oder 27% der Population von Hengsten ab, die mehr als 140 Stuten im Jahr gedeckt haben.
Mit der Beschränkung der Bedeckungen möchte man einer weiteren Verengung des Genpools entgegentreten und die genetische Vielfalt in der Vollblutzucht erhalten.
Soweit die Idee aus Amerika. Aber reichen diese Maßnahmen aus, um einer Verengung des Genpools entgegen zu treten?
Auch wenn der Ansatz gut ist, halte ich die Maßnahmen für nicht ausreichend. Selbst wenn die Anzahl der Produkte eines Hengstes damit für die Zukunft begrenzt sein wird, besteht weiter das Problem, daß die großen Hengstlinien, die dazu meistens kommerziell und damit erfolgreich gemanagt sind, weiter die Zucht dominieren werden.
Dazu einige Beispiele, hier allerdings mehr auf Europa als auf die USA bezogen. Die Situation ist ja nicht wesentlich anders, trotz differierender Gesamtzahlen.
Sadler’s Wells hat bei Galopp-Sieger 109 Söhne verzeichnet, die als Deckhengst aufgestellt sind oder waren, diese haben wiederum derzeit 89 Deckhengste gezeugt. Beide Zahlen sind nicht vollständig, weil Hengste in Galopp-Sieger erst als Deckhengst geführt werden, wenn sie mindestens ein Produkt in der Datenbank haben. Das betrifft dann junge Hengste und Hengste, die noch kein Pferd gebracht, das BT hat oder in einem guten Handicap plaziert war oder aus anderen Gründen in die DB gelangt ist oder es betrifft Hengste, die in einem Teil der Welt als Deckhengst aktiv sind, der von mir nicht beobachtet wird, also auch für das Zuchtgeschehen in den großen Rennsportnationen nicht von Bedeutung sind. Insgesamt schätze ich die als Stallion aktiven Sadler’s Wells-Nachkommen, die nicht bei GS erfaßt sind, bei unter 20%.
Sadler’s Wells: Deckhengste über 10 Generationen
Würde man die Stuten bzw. Pferde zusammen rechnen, die von einem Sadler’s Wells-Sohn abstammen, würde man für Europa sowohl absolut als auch als Anteil in der Gesamtpopulation eine erhebliche Zahl erhalten. Auch dazu zwei Zahlen aus Galopp-Sieger:
In der Datenbahn sind 822 S-W Nachkommen registriert, die wiederum 3885 Nachkommen haben. Nach Pedigreequery hat S-W insgesamt 2173 Nachkommen, aber auch diese Zahl wird nicht vollständig sein. Die Zahl für die Enkel-Generation kann man dort leider nicht direkt ermitteln.
Sadler’s Wells: Nachkommen über 5 Generationen
Mit anderen Worten – auch wenn man die S-W-Söhne, von denen noch viele im Deckgeschäft aktiv sind, limitieren würde, würde man dem Problem der Genpool-Verengung nur bedingt entgegen wirken.
Betrachtet man dann die Zahlen für Northern-Dancer, so wird das Problem in einer noch größeren Dimension deutlich. N-D hat bei Galopp-Sieger 123 Deckhengste in der DB, die wiederum 636 Deckhengste gezeugt haben.
Northern Dancer: Deckhengste 10 Generationen
Insgsamt hat N-D in der Generation G1 313 Pferde in der DB, in der Generation G2 sind es 5.608 und in der dritten Generation G3 sind es 19.099 Pferde. Die geringe Zahl in G1 ist auch Folge der relativ geringen Zahl der amerikanischen Rennen, die für diese Zeit bei GS registriert sind.
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Northern Dancer: Nachkommen über 5 Generationen
Die insgesamt größeren Zahlen sind natürlich auch in den 20 Jahren begründet, die zwischen Sadler’s Wells und Northern Dancer liegen. Das entspricht in der Vollblutzucht in etwa zwei Generationen und würde aber auch bedeuten, daß in 20 Jahren die Dimensionen von Sadler’s Wells ähnlich denen von Northern Dancer von heute sein werden.
Auf der anderen Seite gibt es extrem kleine Linien, die ums Überleben kämpfen und die von einem solchen Deckel in gleicher Weise betroffen wären. Für Europa nenne ich einmal die Dark-Ronald-Linie, die einmal ziemlich populär war und heute eigentlich nur noch in Deutschland und über Star Appeal / Star Way in Australien vertreten ist.
Dark Ronald: Deckhengste 15 Generationen
Oder in den USA den den schon fast krassen Fall Man O’War Linie, dem populärsten Vererber der Neuzeit aus dem Godolphin-Stamm. Es gibt weniger als eine Handvoll Hengste aus dieser Linie, die heute noch aktiv sind.
Man O’War: Deckhengste über 15 Generationen
Möchte man mit einer wie auch immer definierten Deckelung der Bedeckungszahlen die genetische Diversität der Vollblutzucht fördern, reicht es nicht, einzelne Hengste zu limitieren. Was nützt es, wenn ein S-W Sohn bei den Bedeckungszahlen gedeckelt wird, diese dann aber einem anderen S-W Sohn zugute kommen? Und selbst bei der amerikanischen Vollblutzucht mit für europäische Verhältnisse sehr hohen Bedeckungszahlen scheint mir ein Wert von 140 Stuten pro Hengst sehr hoch gegriffen.
Für eine wirklich Förderung der Diversität wäre es erforderlich, die dominierenden Hengstlinien an der weiteren Ausdehnung zu hindern und mittelfristig eine Reduzierung des Anteils an der Gesamtpopulation zu erreichen.
Nimmt man für N-D also einen derzeitigen Anteil von 20% in den Hengstlinien der Vollblutzucht an, darf die Anzahl der Bedeckungen durch N-D Nachkommen maximal 20% an der Anzahl der Gesamtbedeckungen betragen. Und die Tendenz muß fallend sein. Im Deckjahr 2021 dürfte der Anteil nur noch 18% betragen, also 10% weniger.
Dies betrifft natürlich alle großen Hengstlinien, für die entsprechende Quoten festgelegt werden, und für alle Linien, deren Anteil an den Bedeckungen einen Wert von X% unterschreitet, werden keine Quoten festgelegt.
Gäbe es dann aus einer weniger populären Linie einen Vertreter mit sehr guter Rennkarriere, hätte dieser eine ganz andere Entfaltungsmöglichkeit, als dies derzeit der Fall ist, wo die großen Linien, die oft professionell gemanagt sind, Seitenlinien kaum Raum lassen. Auch, weil solche Hengste oft nicht professionell gemanagt werden.
Im Ergebnis wäre dieses System ähnlich den Fangquoten, mit denen eine Überfischung der Weltmeere verhindert werden soll, oder dem angewendeten Kartell-Recht, mit dem die Stellung marktbeherrschender Unternehmen drastisch eingeschränkt werden kann. Leider wird das Kartellrecht zu selten angewendet, was spürbare Verwerfungen zur Folge hat.
Aber was passiert am Ende mit der Entwicklung der Vollblutzucht, wenn der Hengst mit dem absolut besten Verhältnis von Nachkommen zu BT-Siegern nur noch eine limitierte Zahl von Stuten decken darf, weil seine Quote ausgeschöpft ist?
Was ist besser für die Entwicklung Vollblutzucht – uneingeschränkte Entfaltung dominierender Leistungsträger in der Zucht oder genetische Vielfalt?
Original-Artikel in Horseracingnation