Die schlechten Nachrichten reißen in Turf-Deutschland nicht ab. Das Damokles-Schwert der Schließung hängt schon länger über der Neusser Rennbahn, aber so wie es im Moment aussieht, scheint die Politik die Gnadenfrist nicht noch einmal zu verlängern.
Ein kleiner Blick zurück auf die Geschichte der Rennbahn, auch um die aktuellen Probleme besser einordnen zu können. Der Galopp-Sport und der Bürger-Schützen-Verein hängen in Neuss zusammen, wie in keiner anderen Stadt. Die Rennbahn ist auch die Festwiese des Schützenvereins und das alljährliche Schützenfest in Neuss ist das gesellschaftliche Ereignis in der rheinischen Metropole.
Sportlich dominierte früher in Neuss der Basis-Sport. Das herausragende Ereignis des Jahres war der Preis von Neuss, der wie ein besseres Altersgewichtsrennen dotiert war. Hier und da gab es zuweilen ein besseres Handicap, aber das war es dann sportlich gesehen auch schon.
Im Krieg wurde Neuss wie kaum eine zweite Bahn, bombardiert. Die Nähe zum Neusser Hafen, der einer der größten Binnenhäfen in Europa war, wurde der Bahn zum Verhängnis. Die Beseitigung der Kriegsschäden sollte bis 1951 andauern. Die recht große Tribüne war den Bombentod gestorben und es wurden verschiedene Notbehelfe errichtet. Neuss war der letzte der westdeutschen Vereine, die den Rennbetrieb nach dem Krieg wieder aufgenommen haben.
Der Aufschwung ließ nicht lange auf sich warten. Es war auch der allgemeine Aufschwung, den der Rennsport in Deutschland in der Zeit nach dem Krieg erlebt und auch eine Folge des allgemeinen Wirtschaftswunders war. 1952 wurde erstmals der Neusser Stutenpreis unter dem Titel „
Preis des Ministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten des Landes NRW -Herbst-Stuten-Preis“ gelaufen. Das Rennen war über Jahrzehnte der Höhepunkt des Neusser Rennjahres und hatte von 1976 bis 1994 Gruppe-Status. Dazu gab es einige hoch dotierte Handicaps und andere interessante Rennen.
Der Vorstand bestand aus Mitgliedern der alten, einflußreichen und nicht selten wohlhabenden Neusser Familien, der Kontakt zur lokalen Wirtschaft war damit garantiert. Der „Macher“ des Rennvereins war sein General-Sekretär, Harald von Gustedt, vor dem Krieg selbst erfolgreicher Amateurrennreiter. Der Amateur-Rennsport war im Neusser Rahmenprogramm immer präsent. Bei der Gründung der Fegentri 1955 war Harald von Gustedt einer der Mitinitiatoren auf deutscher Seite. 1956 wurde in Neuss der Preis der Olympiasieger und Weltmeister gelaufen, bei dem Amateure gegen die Großen des Reitsports. Hans-Günther Winkler stieg ebenso in den Rennsattel wie der französische Olympia-Sieger und Vizeweltmeister Pierre Jonquères d’Oriola. Initiiert wurde das Rennen von dem ehemaligen Jockey-Lehrling, Meister-Schüler von Otto Lörke und selbst ein Großmeister der klassischen Reitkunst, Willi Schultheis, der auch selbst in den Rennsattel stieg. Ein sportlich eher bescheidenes Rennen, das aber ein sehr großes Medien- und Zuschauer-Echo bewirkt hat. Pferderennen war damals total „in“.
Das Teehaus, wurde von den Firmen aus dem Gewerbegebiet am Hammfeld in Nachbarschaft zur Rennbahn als Restaurant für die Bewirtung von Gästen und Schulungsteilnehmern intensiv genutzt. Die Bude war meistens brechend voll. Und nicht wenige Besucher stellten dann fest, daß man hier auch mal zum Rennen hinkommen könnte.
Einen besonderen Stellenwert nahm die Traktoren-Fabrik IHC International Harvester Company für den Neusser Rennverein ein. Das Werk wurde 1937 im Neusser Hafen gegründet, quasi vis à vis zur Rennbahn. IHC nutzte die Rennbahn für die Präsentation neuer Maschinen und Schlepper und wurde außerdem einer der großen Sponsoren des Rennvereins. Der IHC Renntag war ein Highlight des Jahresprogramms.
Zusätzlich nutzte IHC an rennfreien Tagen die Parkplätze der Rennbahn für die Mitarbeiter. Ich kannte den letzten Personalleiter von IHC über den Reitsport recht gut und er erklärte dazu einmal, ohne eine Summe zu nennen, daß die jährlichen Zahlungen an den Rennverein für die Parkplatznutzung erheblich seien.
Aber das alles war vorbei, als 1997 das IHC-Werk im Neusser Hafen endgültig geschlossen wurde. Es gab damals ein Überangebot an Schleppern und die Traktor-Produktion wurde von Neuss nach Doncaster verlagert.
Der Verlust von IHC hat die Stadt Neuss in vielerlei Hinsicht getroffen. Für den Rennverein war es nicht nur der Wegfall eines großen Sponsors sondern auch der Wegfall von Mietzahlungen zur allgemeinen Kostendeckung.
In den 90ern wurde die Sandbahn gebaut, die zweite nach Dortmund in Deutschland. Neuss war wegen seines Standorts ausgewählt worden Köln, das Ruhrgebiet, der Niederrhein, alles relativ nah gelegen und gut zu erreichen. Die Neunziger waren so etwas wie die „Goldenen Jahre“ des Rennsports in der Nachkriegszeit. Es wurde viel Geld ausgeschüttet, auch bei Rennen, die nicht unbedingt einen hohen sportlichen Standard hatten. ‘Neuss schwamm mit auf dieser Welle. Listen-Rennen, Nationale Listenrennen, Auktionsrennen etc. Überall gab es viel Geld. Und Wettumsätze von über eine Mio DM an einem Renntag waren fast normal.
Die aufziehenden Wolken in Form eines stagnierenden Totos, der dazu teilweise von der Bahn ins Internet wanderte, wollte niemand wirklich sehen.
Das letzte eigene gut dotiere Rennen in Neuss wurde mit dem BBAG Auktionrennen 2006 gelaufen. Danach gastierte der der eigentlich in Köln beheimatete Grand-Prix-Aufgalopp witterungsbedingt noch zweimal auf der Sandbahn, aber das war es dann auch. Danach gab es nur noch Basis-Sport mit Brot und Butter ohne Nachtisch und ohne Appetit-Happen.
2009 wurde nach langer Diskussion die neue Tribüne gebaut, Rennbahnhaus genannt. Wie mir vor längerer Zeit einmal ein Vertreter der Politik erklärte, in Abstimmung mit dem Rennverein. Allerdings ist dieses Rennbahnhaus so funktional für eine Galopprennbahn wie ein Sumo-Ringer als Leichtgewichtsjockey geeignet ist. Die alten Gebäude waren nicht mehr ansehnlich, aber sie waren funktional und das ist dieses Rennbahnhaus nicht mehr. Auf einer zugigen Dachterrasse hat man einen Blick auf die Rennbahn, aber das war es dann auch. Eine Tribüne, auf der man sitzen und die Rennen verfolgen kann, gibt es nicht mehr. Das ist so, wie ein Fußballstadion, in dem es keine Zuschauer-Ränge gibt. Eine komplette Fehlkonstruktion.
Zur gleichen Zeit wurden im Eingangsbereich des Geländes alte Stallanlagen abgebrochen und durch eine Wohnbebauung ersetzt. Wurde mit dem Verkauf dieser Wohnungen der Neubau des Rennbahnhauses finanziert? Bei den heutigen Immoblien-Preisen kann man das fast vermuten – und dann ist am Ende die Finanzleistung der Stadt zugunsten des Rennvereins irgendwo bei Null.
Die restlichen Gebäude sind immer noch im „Urzustand“, Neuss atmet immer noch die Nachkriegszeit. Von Komfort für den Besucher kann nicht wirklich gesprochen werden. Die Grasbahn kann seit Jahren nicht mehr genutzt werden, angeblich ist dafür auch die Stadt verantwortlich.
Vergangene Woche schrieb die zur Rheinischen Post gehörende Neuss-Grevenbroicher-Zeitung, daß immer noch der Miet-Vertrag von 1953 gelte und dieser immer wieder fortgeschrieben wurde.
Wenn meine Informationen richtig sind, war „früher“ der Rennverein der Pächter oder Mieter des Grundstücks und alle Untermietverträge wurden zugunsten des Rennvereins abgeschlossen. Heute ist die Neusser Stadtmarketing-Gesellschaft für die Vermietung des Grundstücks verantwortlich. Die Erlöse fließen nicht mehr dem Rennverein zu, sondern gehen indirekt in die Stadtkasse. Der Rennverein hat keinen Einfluß mehr auf die Vertragsgestaltung und kann die Anlage lediglich für die Durchführung von Rennen nutzen. So mußte auch Dippels Waffelbude, auf den Rennbahnen im Westen allgemein eine „Institution“, entsprechend dem Pächter den Wünschen des Restaurant-Pächters weichen.
Zusätzlich soll der Rennverein eine hohe fünfstellige oder sogar sechsstellige Pacht für die Nutzung des Geländes zahlen. Diese Pachtforderung, die der Rennverein zu recht nicht erfüllen will, ist wohl auch der Streitpunkt zur Verlängerung des Pachtvertrags.
Es kann nicht sein, daß sämtliche Verträge zur Nutzung des Geländes am Rennverein vorbei geschlossen werden, ohne die Belange des Rennvereins zu berücksichtigen.
Das Damokles-Schwert der Rennbahnschließung schwebt schon einige Jahre über der Neusser Bahn und im letzten Jahr hat man noch einmal von einer Gnadenfrist gesprochen. Es wäre eigentlich Sache des Rennvereins gewesen, die Bahn wieder mehr an die Bevölkerung heran zu bringen. Auch wegen der verkehrsgünstigen Lage hätte man bequem im Sommer Abendrenntage oder am späten Samstag veranstalten können. Pferderennen bei schönem Wetter, Freizeit für die ganze Familie. Mit einem guten Konzept hätte man die Bahn richtig voll bekommen können, aber nichts geschah. Es wurden außerhalb der Wintersaison keine Termine bekannt gegeben.
Wenn man einen Verein nur verwaltet, kann er sich nicht entwickeln. Und wenn man gegenüber der Stadt seine Existenzberechtigung nachweisen will, dann muß man ein „volles Haus“ präsentieren, wenn man dazu aber nichts unternimmt, dann hat man am Ende irgendwo schlechte Karten.
Und das sei an dieser Stelle auch einmal gesagt, es sind um Rennsport und im Neusser Rennverein wohlbekannte Namen, die in der Fortführung des Rennbetriebs keinen Nutzen für die Stadt mehr erkennen können. Nachfahren von ehemaligen Vereinspräsidenten. Das sollte den Verantwortlichen auch einmal zu denken geben
Ob das Ding noch mal gedreht werden kann?
Vielleicht sollten die Verantwortlichen einmal nach Mülheim blicken. Da wurde ein Rennverein über Jahre von einem Schuldirektor verwaltet. Die Vertraglich von der Stadt Mülheim vorgegebenen Renntage wurden erfüllt – und mehr nicht. Nach einer Insolvenz des alten Vereins, die der Schuldirektor wohl auch auf Betreiben des Golfplatzbetreibers betrieben hat, hat sich ein neuer Verein gegründet, der aus dem verschlafenen Verwaltungsverein innerhalb kurzer Zeit wieder einen aktiven Rennverein gemacht hat. Sieben Renntage 2019 wurden in Mülheim ausgeschrieben und es wurden wieder zwei Listenrennen gelaufen. Und der traditionelle Mülheimer Termin am zweiten Weihnachtstag ist auch wieder im Programm. Vielleicht sollten die Macher von Mülheim mal den Neussern zeigen, wie man einen Rennverein wieder belebt!!
Ich bin sicher, daß mit einem passenden Konzept auch die Stadt wieder mitspielt!