Das Gesicht des Derbysiegers 2016. Sieht so ein Pferd aus, das gerade von seinem Jockey gepeitscht wurde und vor lauter Angst und Panik das Rennen gewonnen hat? (C) Andreas Wöhler
Nach dem Derby ist die Frage des Peitscheneinsatzes das beherrschende Thema in Turfdeutschland. In den sozialen Medien wurden teilweise Äußerungen auch von Insidern gemacht, die jeder Beschreibung spotten. Es wird von prügelnden Jockeys gesprochen und von gepeitschten Pferden. Für einen Peitscheneinsatz – daran sei erinnert, der z. B. in Irland in einem solchen Finish als vollkommen normal angesehen würde und über den man vor rund 10 Jahren in Deutschland auch nicht wirklich diskutiert hätte. Ich war teilweise erschrocken, was dort geschrieben wurde.
Es wird immer wieder der Tierschutz angeführt, um deretwillen der Peitscheinsatz auf ein Minimum beschränkt werden soll oder nach anderer Meinung ganz verboten werden soll.
Nachfolgend einige Gedanken zum Tierschutz und Peitschengebrauch im Rennen.
Es ist vor allem einmal grundsätzlich zu unterscheiden, ob ich ein Pferd mit der Peitsche im Stall schlage oder ob ich die Peitsche “im Eifer des Gefechts” im Rennen gebrauche. Das Schlagen eines Pferde mit der Peitsche im Stall ist – von bestimmten Ausnahmen abgesehen – abzulehnen und kontraproduktiv. Ein Pferd, das im Stall mit der Peitsche geschlagen wird, begegnet dem Menschen mit Mißtrauen. Wird mehrfach oder fortlaufend geschlagen, wird es bösartig.
Der Peitschengebrauch im Rennen unterscheidet sich davon grundsätzlich.
Ich habe schon viele Diskussionen darüber geführt und habe den Einsatz der Peitsche im Rennen wie folgt erklärt. Das Verhältnis von Chef und Mitarbeitern ist nicht immer friedlich. Der Chef will mehr Ergebnis sehen und der Mitarbeiter fühlt sein Soll als erfüllt an. Es wird heftig diskutiert, der Chef mach dem Mitarbeiter sehr deutlich, daß er mehr leisten muß.
Oftmals stellen die Gesprächspartner in einer solchen Runde dann fest, daß der Chef den Mitarbeiter verbal in den Hintern getreten hat und betrachten den Peitschengebrauch im Rennen dazu analog – und so kann man es sehr treffend sagen. In fast allen Fällen war die Quintessenz, daß die Diskussionspartner den Peitschengebrauch im Rennen als normal und korrekt betrachten. Wenige waren unentschlossen und ein verschwindender Teil blieb bei der Auffassung, daß es falsch sei, ein Pferd mit einer Peitsche zu schlagen. Eine eigentlich einfach Erklärung mit großer Wirkung im Sinne des Sports.
Ein anderes kurzes Beispiel. Stehen sich zwei Boxer im Ring gegenüber, spüren sie die Härte eines Schlages nicht annähernd, wie sie ihn spüren würden, wenn sie kalt erwischt einen Schlag mit der Faust ins Gesicht bekämen. Das liegt nicht nur an den Boxhandschuhen sondern vor allem daran, daß Physis und Psyche in Wettkampfstimmung sind!
Und genauso ist der Gebrauch der Peitsche im Rennen zu sehen. Auch das Pferd ist emotional aufgeladen und in Wettkampfstimmung. Pferd und Reiter sind mit Adrenalin vollgepumpt und das Schmerzempfinden ist auch dadurch erheblich reduziert. Der Reiter will, daß das Pferd schneller läuft und fordert es dazu mit der Peitsche auf. Ist das Pferd leistungsfähig, wird es entsprechend reagieren und beschleunigen. Jedenfalls wird es die Peitsche nicht als Schmerz oder als Strafe empfinden.
Würde das Pferd in dem Fall die Peitsche als Strafe empfinden, würde es danach ängstlich reagieren. Es wäre beim nächsten Rennen im Führring aufgekratzt, würde wahrscheinlich nur mit Widerstand auf die Bahn gehen etc.. Daß dies nicht der Fall ist, kann man – von Ausnahmen abgesehen – jeden Renntag erleben.
Das Gesicht eines Pferdes, das gerade in panischer Angst ein Rennen gewonnen hat? (c) Gabi Suhr
Das Pferd schwitzt im Rennen und wenn der Jockey abgesessen ist, schubbelt sich das Pferd im allgemeinen den Kopf am Jockey. Paßt das zu der Aussage der sogenannten Tierschützer, daß die Pferde durch die Peitsche in Panik versetzt werden? Würde das Pferd dann unmittelbar nach dem Rennen sich seinem Peiniger zuwenden und den Kopf schubbeln?
Beobachtet man die Pferde im Führring vor dem Rennen, sind diese, mit wenigen Ausnahmen die Ruhe in Person und Pferde wissen sehr genau, wenn Renntag ist. Würden sie so ruhig im Führring und an der Startmaschine gehen, wenn sie das Rennen und den Gebrauch der Peitsche als Strafe, als Quälerei empfinden würden? Natürlich gibt es nervöse Pferde – es sind Hochleistungsathleten und auch bei den Menschen gibt es nervöse Sportler. Aber in der Regel sind die Pferde ruhig und gelassen. Von Panik oder Aufregung keine Spur. Und nach dem Rennen – ist die Mimik des Pferdes die einer gequälten Kreatur? Sieht der Derbysieger auf dem Siegerphoto gequält aus?
Das sind Fakten, die PETA und abgeschwächt auch andere professionelle Tierschützer nicht zur Kenntnis nehmen oder nehmen wollen, weil sie nicht in deren Weltbild passen.
Die Tierschützer argumentieren, daß ein Schlag mit der Peitsche Schmerzen verursacht. Es wird der Eindruck vermittelt, daß Schmerz eine feststehende und nicht skalierbare Größe ist. 0=kein Schmerz 1=Schmerz. Das ist falsch, im allgemeinen Sprachgebrauch unterscheidet wir sehr deutlich unterschiedlich starke Schmerzen. Von “aua” über “das tut weh” zu den Schmerzen oder starken Schmerzen – nach oben ist die Skala sicherlich offen.
Das Direktorium für Vollblut und Rennen als Aufsichtsbehörde hat genaue Vorschriften für die Beschaffenheit der Peitsche erlassen, die im Rennen verwendet werden darf. In Ziffer 480 RO ist unter d) die zulässige Peitsche beschrieben: Es ist nur eine ummantelte (shock absorbing) Peitsche mit einer Länge, einschließlich Klappe, von 75 cm zulässig, die an keiner Stelle schmaler als 8 mm sein darf. Die Peitschenstärke und -länge wird vom Abwieger anhand des Peitschenmeßgeräts geprüft.
Ich sage mal etwas provokant: Ein Jockeypeitsche ist heute so “weich”, daß eine Domina sie als Arbeitswerkzeug nicht akzeptieren würde. Mit Kinderspielzeug gibt man sich dort nicht ab.
Die ummantelte “weiche” Peitsche verursacht beim Schlagen einen lauten Knall – ist aber von der Wirkung viel geringer, als die Peitschen, die vor einigen Jahren verwendet wurden.
Die Iren haben deswegen auch die Regel, daß der Peitschengebrauch in Ordnung ist, wenn das Pferd unter der Peitsche anzieht – also die Aufforderung richtig versteht und entsprechend reagiert. Daß die Schlagfolge nicht zu schnell sein darf, sagt schon der gesunde Menschenverstand. Und ich finde diese irische Regelung eine sehr gute Regelung – man kann ja eine Obergrenze setzen. Wie sagte neulich ein Insider: “Wenn es im Finish eng ist und ein Pferd kämpft, dann schaden auch 7,8 oder auch 9 Schläge mit der Peitsche nicht. Beim geschlagenen Pferd, können zwei zu viel sein.
Wenn man Für und Wider gegeneinander abwägt, dann ist die Peitsche ein probates Mittel, um das Pferd zur Mobilisierung der letzten Reserven im Endkampf zu animieren. Das Pferd spürt die Peitsche natürlich, sonst würde es nicht darauf reagieren, aber ich betrachte es als falsch und vollkommen überzogen, beim Peitscheneinsatz von einem Schmerz zu sprechen, der erzeugt wird.
Als Quintessenz bleibt für mich die Feststellung, daß die angemessen eingesetzte Peitsche dem Pferd nicht schadet – egal ob es 5 oder 10 Schläge sind. Wo man eine Obergrenze ziehen kann, weiß ich nicht und verweise auf die irische Regel. Die Peitsche ist natürlich auch nicht das Zaubermittel, um ein Rennen zu gewinnen. Da spielen viel mehr Komponenten eine Rolle und ein echter Klassereiter ohne Peitsche ist einem schlechten Reiter mit Peitsche trotzdem überlegen. Aber der Jockey muß die Möglichkeit haben, ein Pferd im Rennen wirklich schnell zu machen.
Es ist für mich vor allem eine Frage des allgemeinen Eindrucks und der Kommunikation. Der Besucher und Laie muß informiert werden – und wenn der Rennsport nicht informiert, macht es PETA. Wollen wir PETA-Desinformation oder wollen wir den Besucher im Sinne des Rennsports und der Pferde und Aktiven informieren?
Pferderennen sind Leistungsprüfungen im Sinne des Tierzuchtgesetzes, die in der Öffentlichkeit in einem gewissen Ambiente durchgeführt werden. Vor allem das Ambiente mag bei Gelegenheitsbesucher ein wenig den Eindruck erwecken, daß es ein gesellschaftliches Ereignis oder ein Jahrmarkt mit Pferderennen ist. Das ist falsch und das muß vom Sport auch entsprechen kommuniziert werden. Rennen und Leistungsprüfung sind der Sinn und Zweck der Veranstaltung, alles andere ist Beiwerk und nicht umgekehrt!
Rennpferde sind für mich mit die bestversorgten Pferde überhaupt. Perfekte Pflege und Fütterung, erstklassige medizinische Betreuung, Physiotherapie etc.. Wenn man manche Tierarztrechnung sieht, dann würde bei der Erstattung, wenn es die Rechnung für einen Kassenpatienten wäre, eine Ersatzkasse wahrscheinlich meutern.
Als “Gegenleistung” wird dafür vom Pferd erwartet, daß es vier bis zehnmal im Jahr schnell läuft. Im Schnitt sind die in Deutschland trainierten Pferde 2016 6,17 mal im Inland oder Ausland gestartet. Von einer Überforderung kann also keine Rede sein. Mit den Renngewinnen verdient das Pferd einen Teil seines Lebensunterhalts. So wie die Menschen auch arbeiten müssen, um das tägliche Brot zu verdienen. Der Mensch sorgt für das Pferd und das Pferd bereitet durch Erfolge seinem Besitzer und seinem Umfeld vor allem Freude – eine eigentlich perfekte Sozialpartnerschaft. Tiere sollen nicht arbeiten und nicht zum Vergnügen des Menschen dienen, denn sie haben keine Wahl, ob sie wirklich schnell Rennen wollen, sagen die sogenannten Tierschützer. Das mag richtig sein, aber fragen Sie die Toilettenfrau oder den Hilfsarbeiter, ob er eine Wahl hat und ob ihm der Job Freude bereitet.
Schließlich müssen wir uns auch noch einmal deutlich vor Augen halten, daß der Rennsport die besten Pferde für die Zucht ermitteln soll. Der Rennsport basiert auf drei klassischen Säulen. Frühreife, Härte und Ausdauer. Härte bedeutet Gesundheit und auch Streßresistenz. Und für ein Klassepferd bedeutet das, daß es nach einem harten und mehr als spannenden Finish, wie wir es im Derby gerade erleben durften, im nächsten Rennen wieder genauso anpackt und mit seinem Organismus und auch mit seinem Kopf gewinnt. Das Klassepferd muß bei der Gemengelage zeigen, daß er da drüber steht und so etwas “kann”.
Bei den Pferden gibt es sehr unterschiedliche Typen. Manche reagieren sehr sensibel und strengen sich bei einem kurzen Klaps mit der Peitsche maximal an. Andere brauchen erst mal zwei Schläge als Wachmacher, daß sie wissen, daß sie sich jetzt anstrengen müssen. Wer für eine weitere Verschärfung der Peitschenregel plädiert, würde diese phlegmatischen und wegen des Phlegmas sehr oft guten Pferde zur Erfolglosigkeit verdammen und damit quasi vom Rennbetrieb ausschließen. Will man das wirklich?
Es ist jetzt Sache des Direktoriums, den Peitschengebrauch ungeschönt zu beschreiben und auf der Webseite an prominenter Stelle zu veröffentlichen. Im Rennprogramm werden seitenlang die Wettarten erklärt – aber ein Hinweis über Gebrauch, Beschaffenheit und Sinn des Peitscheneinsatzes findet sich nirgendwo. Ein schwere Unterlassungssünde, wie ich meine.
Der Rennsport muß den offenen Disput mit den Tierschützern suchen und die eigene Position energisch vertreten. Es darf nicht so sein, daß die Tierschützer Forderungen stellen und der Rennsport klein beigibt und sich vorführen läßt wie ein Tanzbär in der Manege. Der Peitschengebrauch im Sport ist auch nicht ansatzweise ein Verstoß gegen das Tierschutzgesetz, wie ich hoffentlich deutlich ausgeführt habe.
Schafft der Rensport es nicht, die eigene Position zu vertreten und wieder einen normalen Gebrauch der Peitsche zu ermöglichen und dabei das Strafmaß im Fall des Mißbrauchs auf ein erträgliches Maß zu reduzieren, wird auch im internationalen Vergleich der Galoppsport in Deutschland weiter an Bedeutung verlieren – und das haben dann die Funktionäre des DVR zu verantworten.
Es sind dann die Funktionäre, die die Bedeutungslosigkeit des Sports zu verantworten haben, nicht die Züchter und Besitzer und schon gar nicht die Jockeys, die die Suppe jeden Tag auslöffeln müssen.
Der Peitschengebrauch kann nicht isoliert gesehen werden – man muß ihn eben auch im Gesamtaspekt des Rennsports sehen – und deswegen bin ich teilweise auch vom Thema etwas abgekommen.
Es gibt viele Aufgaben im Tierschutz, die dringend erledigt werden müssen und Zustände im Umgang mit Tieren, die teilweise zum Himmel schreien. Der Gebrauch der Peitsche im Rennsport ist da geradezu eine Petitesse – die extrem aufgeladen und emotional von den Tierschützern betrachtet wird. Was hinter verschlossenen Türen von teilweise staatlich kontrollierten Einrichtungen geschieht, ist ja nicht so öffentlichkeitswirksam.
Auch wenn ich mich wiederhole: Und alle Kritiker, die den Peitscheneinsatz teilweise in sehr scharfer Form kommentiert haben, seien an die King George VI von 2012 erinnert. Danedream gewann mit Andrasch Starke nach hartem Kampf auf der Linie mit einer Nase. Vor allem auf den letzten hundert Metern hat Andrasch sehr energisch mit der Peitsche geritten, um den Gegner dann auf der Linie zu stellen. Ganz Turfdeutschland jubelte über den ersten Erfolg eines in Deutschland trainierten Pferdes in den King George VI and Queen Elizabeth Stakes. Daß Andrasch etwas mehr hingelangt hat, als er es normalerweise tut, war kaum einer Erwähnung wert.
Nachtrag: Wie ich Mittwoch aus einer im allgemeinen gut informierten Quelle erfahren habe, soll die Bestrafung bei zu starkem Gebrauch der Peitsche weiter verschärft werden. Danach ist folgende Regelung angedacht (ohne Gewähr): Ohne Vorstrafe , ab dem 6 Schlag, 14 Tage Reitverbot, mit Vorstrafe 21 bzw 30 Tage. Zusätzlich Gewinnbeteiligung und Geldstrafe wie gehabt.
Wenn das Gesetz werden sollte kann man den Jockeys nur raten, in einen Streik zu treten. Die Funktionäre, die diese Regeln machen, haben meistenfalls noch nie auf einem Pferd gesessen, geschweige denn ein Finish geritten – und wollen jetzt einen Strafenkatalog einführen, der die wirtschaftliche und soziale Situation der Jockeys noch weiter verschlechtert. Haben die Funktionäre schon einmal unter den Bedingungen gelebt und gearbeitet, unter denen ein Jockey arbeitet?
Andreas Suborics hat es in seinem Schreiben and das Direktorium treffend gesagt: Ganz im Ernst, kennen Sie irgendeinen deutschen Jockey, der nach seiner Karriere vermögend war? Nein!!!
Unter den großen Rennsportländern in Europa haben wir die geringsten Rennpreise und damit Jockeyprozente, sehr wenige Rennen, in denen die Jockeys Geld verdienen können, aber die höchsten Strafen für Peitschenmißbrauch.
Ich kann bei diesem Ansinnen des DVR und bei so viel Unverständnis in den Gremien nur noch den Kopf schütteln!