Ein Derby für die Geschichte

In unserer schnelllebigen Zeit ist man schnell mit dem Slogan „für die Geschichte“ zur Hand. Aber was sich heute in Hamburg im Deutschen Derby zugetragen hat, ist in mehrfacher Hinsicht würdig für die Geschichtsbücher! Nina Baltromei reitet mit Hochkönig als erste Frau den Sieger in einem großen Derby in Europa! Weder in England oder Irland, noch in Frankreich oder Italien war eine Frau im Derby siegreich!

In der Schweiz ist dies Brigitte Renk 2003 mit Financial Future für Trainer Mark Johnston aus England und 2004 mit Workaholic aus dem Stall von Peter Schiergen gelungen. Für die skandinavischen Länder habe ich aufgrund lückenhafter Daten keine siegreiche Reiterin gefunden, ebenso für Österreich. Für den Ostblock und Benelux kann ich keine Aussage treffen.

Aber dies ist auch eher Nebensache, da in diesen Ländern das Derby bestenfalls Listenstatus hat und damit in der Bedeutung weit hinter dem Pendant in den großen Galoppsport-Ländern zurückfällt.

Außerdem hat seit 1916, als Otto Schmidt mit Amorino aus dem Stall der Gebrüder v. Weinberg als Lehrling den Sieger im Derby geritten hat, in Deutschland kein Lehrling mehr dieses bedeutende Rennen gewonnen. Nina Baltromei ist bis Juni 2025 mit einer Amateurlizenz geritten. Seit Mitte Juni ist sie in der Ausbildung bei Yasmin Almenräder. Man könnte auch sagen, Lehrmädchen gewinnt im ersten Monat der Lehre gegen internationale Konkurrenz das bedeutendste Galopprennen Deutschlands – Chapeau!

Lester Piggott gewann 1954 mit Never Say Die das Epsom-Derby. Er war damals 18 Jahre alt. War er zu dem Zeitpunkt noch Lehrling oder hatte er formal ausgelernt? Die Jockey-Lehre begann damals früher, oft mit 14 und es wurde fünf Jahre gelernt. Aber bei erfolgreichen Reitern wurde die Lehrzeit auch oft verkürzt. Ich kann es nicht sagen, aber vielleicht hat ein Leser eine Idee.

Yasmin Almenräder hatte nach dem viel zu frühen Tod von Werner Baltromei 2012 den Stall auf der Rennbahn am Raffelberg übernommen und führt diesen erfolgreich weiter. Nina als seine Tochter ritt dort zuerst als Amateurrennreiterin und begann dann aktuell ihre Lehre. Der Derbysieg ist ein neuer und absoluter Höhepunkt in der Karriere! Ein Erfolg, auf den viele ihr ganzes Leben warten – toll gemacht! Ein Wahnsinnserfolg!

Mit der Amateurlizenz hat sie 45 Sieger geritten und der Derbysieg war nun ihr 50. Sieg im Rennsattel. Jetzt darf sie sich offiziell Jockey nennen ;-) Wie gesagt, Lehrmädchen im ersten Lehrmonat …

Hinter dem Besitzer Stall Cloverleaf verbirgt sich unter anderem der Niederrheinische Unternehmer Bernd Gossens, der auch aus einer im Rennsport wohl bekannten Familie stammt. Selbst war er erfolgreicher Amateurreiter und ist mit einer ebensolchen verheiratet. In den Farben von Robert Gossens lief der Elritzling-Sohn Rainer, der 1947 in dem mit stolzen 100.000 Papiermark (vor der Währung) dotierten Großen Preis des Landes Nordrhein-Westfalen Dritter im Toten Rennen mit Nachtfalke wurde. Dieser Rainer wurde später Namenspate eines Gossens-Nachkömmlings.

Und schließlich der Hauptdarsteller – das Pferd – der Sieger im Deutschen Derby 2025: Hochkönig von Polish Vulcano aus der Halinara, gezogen von Rennbahnphotograph Marc Rühl und seiner Frau.

Ein Blick in Hochkönigs Pedigree läßt den Betrachter mit einer gewissen Ratlosigkeit zurück.

Sein Großvater ist Lomitas, eines der besten Rennpferde seiner Zeit in Europa, Vater vieler guter und sehr guter Pferde, unter anderem Beleneus, dem Sieger im Deutschen Derby 1999, sowie vor allem der unvergleichlichen und unvergessenen Danedream, Siegerin im Prix de l’Arc de Triomphe 2011und den King George VI and Queen Elizabeth Stakes von Ascot 2012 und eben auch von Polish Vulcano.

Polish Vulcano lief in den Farben seines Züchters Addi Darboven und war ein nützliches Rennpferd, sein bester Erfolg war der Sieg im Preis der Sparkassen-Finanz-Gruppe, dem früheren Spreti-Rennen in Baden Baden. Dazu gab es verschiedene Plazierungen in Gruppe-3 und Listen-Rennen sowie einen Sieg im Sachsenpreis in Dresden. Eigentlich eher der Hengst, der, wenn er im Typ korrekt ist, gerne für die Warmblutzucht aufgestellt wird. Aber es sollte eben anders kommen – er wurde Deckhengst für Vollblüter auf dem Gestüt seines Züchters. Die Zahl der Bedeckungen ist übersichtlich, insgesamt hat er deutlich unter 100 Stuten gedeckt, aber mit Sir Polski hat er einen Doppelsieger zum zur Gruppe 3 gehörenden St. Leger Italiano gebracht.

Interessant ist seine Mutterlinie. Die Urgroßmutter Pikante war für das Gestüt Falkenstein von Horst Herbert Alsen Siegerin im Krefelder “Steepler-Derby” – offiziell dem Dujardin-Jagdrennen – und vor allem Mutter des im Großen Preis von Baden viel zu früh verunglückten Pik König, der für Addi Darboven das Derby 1992 gewonnen hat. Sein Kopf in Bronze ziert den Haupteingang der Rennbahn in Hamburg Horn! Mit Power Flame brachte Pikante noch einen Gruppe-2 Sieger. Eine insgesamt erfolgreiche Zuchtstute.

In Hochkönigs Stutenlinie findet man nichts Aufregendes – kein Black Type, nichts. Die Mutter Halinara hat bei Galopp-Sieger einen Sieg, weil sie in Deutschland trainiert wurde und in Compiegne gewonnen hat. Die Großmutter wurde vom Gestüt Schlenderhan von dem englisch-irischen Doppelderbysieger The Minstrel gezogen und war nicht gelaufen. Marc Rühl hat bereits mit ihr gezüchtet. Irgendetwas muß besonders tief geschlummert haben, was man so aus dem Pedigree nicht lesen kann, aber Marc Rühl scheint es gesehen zu haben … oder anders gesagt: Niemand hat Hochkönig in die Wiege gesungen, daß er einmal Sieger in der Champions League des Galopprennsports werden sollte.

Und das Rennen? Nach dem Ausfall des in Frankreich von Alessandro Botti trainierten Juwelier verblieben 17 Starter. Aus der Maschine raus bestimmte Delgardo mit Eddi Pedroza zusammen mit Name Lord die nicht sonderlich schnelle Fahrt. Dahinter lagen Convergent, Lady Charlotte und Pompeo Dream. Hochkönig wurde von Nina Batromei schon vor dem ersten Bogen nach hinten genommen. Bei einer so flauen Fahrt ein nicht ganz ungefährliches Unterfangen, denn, wenn es langsam ist, können alle am Schluß sprinten. Zur Spitzengruppe gesellte sich gegenüber noch Zuckerhut aus dem Rennstall Gestüt Hachtsee.

Im Schlußbogen bei Erreichen der Geraden geht The Sheriff aus Frankreich weit nach außen und wird kurz danach verletzt angehalten. Das linke Hinterbein sah gar nicht gut aus. Die letzte Information dazu ist, daß er in die Tierklinik gebracht wurde. Amico aus dem Stall Liberty Racing Australia macht den Schlenker mit und sollte danach nicht mehr in das Geschehen eingreifen können.

Eingangs der Geraden nimmt Nina Baltromei Hochkönig nach außen und greift in das Geschehen ein. Man könnte auch sagen, daß Mädel hat Nerven wie Stahlseile. Sie verbessert Position um Position und kurz vor der Linie stellt sie Convergent und hat im Ziel einen sehr kurzen Kopf Vorsprung! Bravo!

Das Duo sprintete zwei Längen vor Lazio (Lucky Owner/ Hickst/ Seidl) über die Linie. Es folgten Path of Soldier (Wiedingen/Schiergen/Starke) und Enzian (Sauren/ Grewe/ Hammer-Hansen) im Toten Rennen, dahinter der Favorit Zuckerhut (Hachtsee/ Schiergen/ Demuro) und Name Lord (Wittekindshof/ Suborics/ Boutin) vor Waldnebel (Grafenberg/ Smrczek/ Cadeddu) und der einzigen Stute Lady Charlotte (Westminster/ Wöhler/ de Vries) auf Platz 9.

Vom Ersten bis zum Sechzehnten waren es insgesamt 16 1/4 Längen, also eine sehr dichte Zielankunft.

Für Yasmin Almenräder war es der zweite klassische Sieg in diesem Jahr. Im Mai gewann die Stute Mathilda in Köln die Coolmore City of Troy German  2000 Guineas, dem früheren Henckel-Rennen. Im Sattel saß Frida Valle Skar, eine norwegische Reiterin bei Yasmin Alemenräder.

Ich ziehe meinen Hut vor diesem perfekt vorgetragenen, nervenstarken Ritt – herzlichen Glückwunsch, Nina Baltromei! Papa wäre stolz auf dich!

Deutsches Derby 2025

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