Erster Samstag im Juni – D-Day auf den Downs von Epsom, Derbytag Decision-Day oder wie man es auch immer nennen will. Es ist das Ur-Derby und eines der wichtigsten Pferderennen der Welt.
Wer hier gewinnt, wer hier vorne ist, der gehört zu den Großen in der Welt des Turfs. Es sind nicht immer die ganz großen Stars, die das Derby in Epsom gewinnen, es gab gute und nicht so gute Pferde, die das Epsom-Derby gewonnen. Aber egal, wie gut der Derbysieger am Ende des Jahres von den Handicappern eingeschätzt wird. Für die Aktiven – Reiter, Besitzer und Trainer ist es das Größte, hier einmal im Leben in der Winners Enclosure zu stehen.
Einen halben Derbysieger hat die deutsche Vollblutzucht schon. Slip Anchor, im Besitz des Lords Howard de Walden gewann das Derby 1985. Seine Mutter Sayonara kam aus Schlenderhan und repräsentiert die Familie der Schwarzgold, also das Beste vom Besten, was die deutsche Vollblutzucht zu bieten hat. Es war die Zeit, als deutsche Vollblüter auf der internationalen Bühnen nicht mehr nur Gelegenheitserfolge erzielten. Die Fährhofer Lirung und Acatenango seien hier nur beispielhaft genannt.
Dieses Jahr tritt erstmals ein in Deutschland trainiertes Pferd den Weg zum Epsom-Derby an. Chopin aus dem Stall von Andreas Wöhler versucht sein Glück. In Krefeld gewann er das DR. Busch Memorial überlegen mit 8 Längen. Der Sieg war so beeindruckend, daß Scheich Al Tani der Herrscher von Quatar ihn haben wollte. Und wenn ein Potentat aus dem ölgeschwängerten Morgenland etwas haben will, dann bekommt er es auch.
Gezogen ist Chopin in Graditz, jenem legendären königlichen Hauptgestüt in Torgau an der Elbe, das Deutschlands Vollblutzucht auch fast 70 Jahre nach dem Ende seiner großen Epoche noch immer den Stempel aufdrückt. Graditz, das war wie Godolphin und Darley in einem. Aber nicht königsblau, sondern schwarz-weiß gestreift, in Preußens alten Farben. Graditz war Staatsgestüt, seine Aufgabe war die Förderung der Vollblutzucht. Dort wirkten solch selten geniale Hippologen wie Graf Lehndorff, der einst Dark Ronald in England für die sagenhafte Summe von 25.000 Pfund oder 500.000 Goldmark kaufte und damit die deutsche Zucht bis heute beeinflußt: Herold – Alchimist – Birkhahn – Literat – Surumu – Acatenango – Lando. Eine in der Welt fast einmalige Hengsthauptlinie von Derbysiegern, nur unterbrochen durch einen “Pannenritt” von Lester Piggott mit Literat.
Nach dem Zusammenbruch wurde Graditz “volkseigen” und es ging, wie fast alles im Sozialismus den Bach runter. Nach der Wende wurde es privatisiert, denn der Staat hatte kein Interesse mehr an der Vollblutzucht und seit einigen Jahren engagiert sich die Familie Wirth auf der traditionsreichen Scholle und züchtet Vollblüter. Nicht mehr vergleichbar mit der großen Epoche, aber sehr engagiert und offensichtlich auch sehr erfolgreich. Chopin könnte ein neuer Höhepunkt werden und Graditz wieder zu altem Glanz verhelfen.
Santiago ist Jungbeschäler in Graditz, Chopin kommt aus seinem ersten Jahrgang und beschert seinem jungen Vater direkt einen Gruppe-Sieg. Schon das läßt aufhorchen, aber reicht der Erfolg in Krefeld für einen Sieg in Epsom? Bestätigt wurde die Forum im klassischen Mehl-Mülhens-Rennen nicht wirklich. Epsom ist eine Naturbahn, bergauf und bergab – running down the hills. Vor der Zielgeraden geht es bergab, dann kommt Tattenham Corner und dann geht es in die lange Zielgerade bergauf. Da ist Stamina und Klasse gefragt.
Bei Englands Buchmachern wird Chopin mit 8/1 angeboten und steht damit im erweiterten Favoritenfeld. Die Konkurrenten sind nicht von schlechten Eltern. Down Approach ist der Favorit, ungeschlagen in 7 Rennen und Sieger in den 2000 Guineas von Newmarket. Battle of Marengo aus dem Coolmore-Imperium. Er “patzte” beim Debut, danach wurde er nicht mehr geschlagen. Ocovango reist aus Frankreich an und ist ungeschlagen. Sein Vater, der deutsche Superstallion Monsun erlebt in Frankreich gerade eine Höhenflug. Ruler of the World, ungeschlagen in zwei Rennen. Aber er scheint mehr ein leichtes Pferd und der Erfolg in Chester war nicht so überzeugend, daß er hier zwingend wirkt.
Jamie Spencer wird Chopin steuern. Das Epsom-Derby hat er noch nicht gewonnen, seine beste Plazierung war 2002 ein dritter Platz, aber er kennt die Bahn und gehört zu den besseren Jockeys in England-
Ein Sieg wird schwer sein, denn die Engländer werden es nicht so einfach zulassen, daß “ihr” Derby nach Deutschland entführt wird. Wenn alles gut läuft, dann ist eine Plazierung möglich. Hoffen wir einfach das Beste und drücken um 4 pm Greenwich time ganz fest die Daumen. Es wäre Trost auf die Seele der geschundenen deutschen Rennsports, wenn Chopin in Epsom “vorne” dabei wäre. Heinz Jentzsch, Deutschlands Trainerlegende Nr. 1 meinte einmal zum Hamburger Derby, daß das Rennen wie Königsberger Klopse ist. Da ist alles drin! Andreas Wöhler kann am D-Day von Epom Turfgeschichte schreiben!